Verapamil

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 30.04.2020

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Synonym(e)

CAS 152-11-4; CAS-Nummer: 52-53-9; Verapamilhydrochlorid

Definition

Selektiver L-Kanalblocker (L steht für „long-lasting“ ) der zur Therapie kardiovakulärer Erkrankungen verwendet wird (koronare Herzkrankheit, diverse Formen von Angina pectoris), um die Sauerstoffversorgung des Herzens zu verbessern. Es wirkt im gleichen Konzentrationsbereich sowohl kardiodepressiv als auch vasodilatierend. Verapamil wird zu 90% an Plasmaproteine gebunden.

Weitere Indikationen für Verapamil sind Hypertonie und hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie (HOCM). Als Antiarrhythmikum wird Verapamil vor allem bei supraventrikulären Tachyarrhythmien sowie Vorhofflimmern und Vorhofflattern mit schneller AV-Überleitung (mit Ausnahme von WPW-Syndrom oder Lown-Ganong-Levine-Syndrom) eingesetzt. Seltene Anwendungsgebiete von Verapamil sind ferner die Prophylaxe von Clusterkopfschmerz und die Therapie von Plaque-Ablagerungen bei Verhärtungen im Penis-Schwellkörper (Induratio penis plastica).

Verapamil liegt als Salz, Verapamilhydrochlorid, in Tabletten, Retardtabletten und in Injektionslösungen vor.

Halbwertzeit

Verapamil wird extensiv in der Leber verstoffwechselt durch CYP3A4, CYP1A2, CYP2C8, CYP2C9 und CYP2C18. Identifiziert wurden 12 Metabolite von denen nur Norverapamil eine nennenswerte pharmakologische Wirkung hat (etwa 20% von Verapamil). Nach oraler Gabe beträgt die Eliminationshalbwertzeit drei bis sieben Stunden. Etwa 50% der verabreichten Dosis wird innerhalb von 24 Stunden renal eliminiert, 70% innerhalb von fünf Tagen. Bis zu 16% werden mit den Faeces ausgeschieden.

Pharmakodynamik (Wirkung)

Verapamil gehört zu der Gruppe der Phenylalkylamine und blockiert den Calciumeinstrom durch spannungsabhängige Kalziumkanäle in die Zellen der Herzmuskulatur. Dadurch kommt es zur Verminderung der Schlagkraft des Herzens sowie einer erniedrigten Schlagfrequenz. In der Folge wird das Herz entlastet. Darüber hinaus entfaltet Verapamil insbesondere in den Koronararterien einen weitstellenden Effekt. Dadurch verbessert sich die Sauerstoffversorgung des Myokards und die für Angina pectoris typischen Beschwerden werden gelindert. Zudem nimmt der periphere Widerstand ab, das Herzminutenvolumen steigt und der Blutdruck sinkt. Die antiarrythmogene Wirkung beruht auf einer verlängerten Überleitungszeit am AV-Knoten.

Nach oraler Gabe werden mehr als 90% des Verapamils schnell aus dem Dünndarm resorbiert. Die Bioverfügbarkeit nach einer Einzelgabe von Verapamil-Tabletten beträgt 22%, bei retardiertem Verapamil sind es etwa 32%. Verapamil unterliegt einem ausgeprägten First-pass-Metabolismus. Nach Gabe von Verapamil-Tabletten werden die maximalen Plasmaspiegel nach ein bis zwei Stunden erreicht, nach Gabe von retardiertem Verapamil nach vier bis fünf Stunden. Nach mehrmals täglicher Gabe wird der Steady State nach drei bis vier Tagen erreicht.

Eingeschränkte Indikation

Eingeschränkte Nierenfunktion: Verapamil sollte bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion mit Vorsicht und unter engmaschiger Beobachtung angewendet werden.

Eingeschränkte Leberfunktion: Bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion ist die Metabolisierung von Verapamil verlangsamt, wodurch die Bioverfügbarkeit von Verapamil erheblich zunehmen und die Wirkung verstärkt oder verlängert werden kann. Deshalb werden zunächst niedrige Anfangsdosen von 80 - 120 mg Verapamil pro Tag empfohlen.

Schwangerschaft/Stillzeit

Verapamil ist plazentagängig und zudem konnte in tierexperimentellen Studien Reproduktionstoxizität gezeigt werden. Daher soll Verapamil im ersten und zweiten Trimenon der Schwangerschaft oral nicht eingenommen werden. Eine Einnahme im dritten Trimenon der Schwangerschaft darf nur bei zwingender Indikation, und nach strenger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen.

Die intravenöse Verabreichung von Verapamil in der Schwangerschaft ist kontraindiziert. Dabei besteht die Gefahr der Hypotonie und somit der Abnahme der uteroplazentaren Perfusion mit dem Risiko der fetalen Hypoxie.

Stillzeit

Verapamil geht nach oraler Einnahmen in geringen Mengen in die Muttermilch über, daher sollte Verapamil nur nach strenger Nutzen-Risiko-Abwägung in der Stillzeit oral eingesetzt werden. Die intravenöse Verabreichung von Verapamil ist während der Stillzeit kontraindiziert. Bei zwingender Indikation muss für die Dauer der Behandlung das Stillen unterbrochen werden.

Zudem gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Hyperprolaktinämie und Galaktorrhoe verursacht werden können.

Dosierung und Art der Anwendung

Orale Anwendung:

Hypertonie bei Erwachsenen und Jugendlichen über 50 kg Körpergewicht: Die empfohlene Dosierung liegt bei 240 mg – 360 mg Verapamil pro Tag.

Koronare Herzkrankheit bei Erwachsenen und Jugendlichen über 50 kg Körpergewicht: Die empfohlene Dosierung liegt bei 240 mg – 480 mg Verapamil pro Tag. Bei Patienten mit Angina pectoris nach Myokardinfarkt darf Verapamil erst 7 Tage nach dem akuten Infarktereignis eingesetzt werden.

Kinder:

  • ältere Vorschulkinder bis 6 Jahre: Die empfohlene Dosierung liegt bei 80 mg – 120 mg Verapamil pro Tag.
  • Schulkinder 6 – 14 Jahre: Die empfohlene Dosierung liegt bei 80 mg – 360 mg Verapamilhydrochlorid pro Tag.

Parenterale Anwendung:

Paroxysmale, supraventrikuläre Tachykardie, Vorhofflimmern/Vorhofflattern und zur Initialbehandlung bei instabiler Angina pectoris, wenn Nitrate und/oder Betarezeptorenblocker nicht angezeigt sind:

Erwachsene und Jugendliche über 50 kg Körpergewicht: Initialdosis 5 mg Verapamil i.v., ggf. nach 5-10 Minuten weitere 5 mg Verapamil.

Anschließend kann eine Dauertropfinfusion von 5-10 mg Verapamil/Stunde, im Durchschnitt bis zu einer Gesamtdosis von 100 mg Verapamil/Tag. Wird die Therapie der instabilen Angina pectoris intravenös mit Verapamil begonnen, sollte so bald wie möglich auf eine orale Therapie umgestellt werden.

Unerwünschte Wirkungen

Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen von Verapamil zählen Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Verstopfung und Völlegefühl. Schwerwiegende häufige unerwünschte Wirkungen sind unter anderem Herzrhythmusstörungen und Blutdruckregulationsstörungen sowie die Verschlechterung von bestehender Herzinsuffizienz. Allergische Reaktionen mit Hautrötung, Juckreiz oder Nesselsucht sowie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Knöchel-Ödeme und Schwindel sind einige der weiteren häufigen Nebenwirkungen von Verapamil.

Wechselwirkungen

Schwerwiegende Folgen wahrscheinlich - in bestimmten Fällen kontraindiziert (Verapamil als CYP3A4-Inhibitor):

  • H2-Blocker: Gleichzeitige Anwendung nicht empfohlen:
  • Amiodaron: Additive kardiodepressive Wirkung möglich
  • Enzyminduktoren (CYP3A4): Verminderte Wirkungen der Calciumantagonisten
  • Rifampicin: Verminderte Wirkungen von Nifedipin und -Derivaten
  • Colchicin: Gefahr einer Colchicin-Intoxikation

Kontraindikation

Überempfindlichkeit gegen Verapamil

Herz-Kreislauf-Schock

Ausgeprägte Reizleitungsstörungen (wie z. B. SA- bzw. AV-Block II. und III. Grades; außer bei Patienten mit Herzschrittmacher)

Sinusknotensyndrom (außer bei Patienten mit Herzschrittmacher)

Herzinsuffizienz mit einer reduzierten Auswurffraktion von weniger als 35% und/ oder einem Verschlussdruck von mehr als 20 mmHg (sofern nicht Folge einer supraventrikulären Tachykardie, die auf Verapamil anspricht)

Vorhofflimmern/-flattern und gleichzeitigem Vorliegen akzessorischer Leitungsbahnen (z. B. WPW- oder Lown-Ganong-Levine-Syndrom). Bei diesen Patienten besteht bei Verapamilgabe ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Kammertachykardie, einschließlich Kammerflimmern

Die gleichzeitige intravenöse Applikation von Betarezeptorenblockern darf bei Patienten während der Behandlung mit Verapamil nicht erfolgen (Ausnahme Intensivmedizin)

Hinweis(e)

Die Behandlung mit Verapamil bedarf der regelmäßigen ärztlichen Kontrolle. Durch individuell auftretende unterschiedliche Reaktionen kann das Reaktionsvermögen soweit verändert sein, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt wird. Dies gilt in verstärktem Maße zu Behandlungsbeginn und bei Dosiserhöhungen.

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