Heparinallergie T88.7

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 05.07.2018

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Synonym(e)

Allergic Heparin hypersensitivity; Heparin-Hypersensitivität

Erstbeschreiber

Plancherel, 1952

Definition

Spättypallergie (Typ IV) als häufiges und klinisch relevantes Problem bzw. sehr selten IgE-vermittelte Soforttypallergie (Typ I) auf Heparine.

Ätiopathogenese

In einer Metaanalyse konnten unfraktioniertes Heparin in der Hälfte der Fälle als Hauptauslöser, in der anderen Hälfte niedermolekulare Heparine nachgewiesen werden. Heparinoide wirken nur selten sensibilisierend. Kreuzreaktionen treten häufiger nach initialer Gabe von Heparinen als nach Erstbehandlung mit niedermolekularen Heparinen auf.

Weiterhin sind Adipositas und lange Therapiedauer Risikofaktoren für eine Heparinallergie.

In den meisten Fällen liegt eine Spättypsensibilisierung nach subkutaner Heparininjektion vor. Seltener sind Soforttypsensibilisierungen nachweisbar.

Klinisches Bild

Das klinische Bild ist abhängig vom vorliegenden Sensibilisierungstyp.

  • 5-10 cm große, rundliche, scharf begrenzte, stark juckende dermatitische, auch vesikulöse Plaques an den subkutanen Injektionsstellen. Bereits sensibilisierte Patienten reagieren auf eine weitere subkutane Heparininjektion nach wenigen (6-12) Stunden, seltener erst nach 24-48 Stunden mit einer neuerlichen dermatitischen Lokalreaktion.
  • Patienten mit dermatitischer Heparinallergie an den Injektionsstellen tolerieren i.A. eine intravenöse Heeparingabe (Trautmann A 2018). Diese allergologische Besonderheit wird als Kompartmentallergie bezeichnet. 
  • In vereinzelten Fällen kann es zu dermatitischen Streureaktionen (Spättypallergie) kommen. Seltener sind generalisierte makulo-papulöse Exantheme (bspw. wenn Heparine trotz dermatitischer Lokalreaktion weiterhin injiziert werden).
  • Urtikaria, Anaphylaxie, als Ausdruck einer IgE-vermittelten Soforttypallergie sind sehr selten (nur wenige Publikationen sind bekannt)!
  • DD: Differenzialdiagnostisch von Bedeutung ist die seltene Heparininduzierte Thrombozytopenie (Heparinnekrose) durch mikrovaskuläre Hautinfiltrate mit blitzfigurenartigen Hautnekrosen. 

Labor

Hat keinen Stellenwert bzw. ist nicht verfügbar.

Diagnose

  • Intrakutantest:
    • Verdünnung der Injektionslösungen (10%) in NaCl Lsg. 0,9%
    • Testung am volaren Unterarm
    • Ablesungen nach 20 Minuten, 24, 72 und 96 Stunden
    • Soforttypreaktionen (nach 20 Minuten) im Intrakutantest (ca. 10% aller Tests) sind fast immer Folge der histaminliberierenden Eigenschaften der Heparine und nicht Symptom einer IgE-vermittelten Allergie.
  • Abriss-Epikutantest:
    • Injektionslösungen unverdünnt
    • Testung am Rücken nach vorherigen, standardisiert durchgeführten Klebebandabrissen
    • Ablesungen nach 24, 72 und 96 Stunden.
  • Subkutane Provokation/Exposition:
    • Nur nach negativem Ausfall der Hauttests auf das jeweilige Präparat!
    • Ambulante Injektion einer therapeutischen Dosierung
    • Ablesungen nach 24, 72, 96 und 168 Stunden.
  • Intravenöse Provokation:
    • Zwischen positiv ausgefallenen Hauttests bzw. subkutanen Provokationstests und einer intravenösen Provokation sollte ein Intervall von mindestens 6 Wochen liegen!
    • Unter stationären Bedingungen standardisiert mit Heparin-Natrium-5000- ratiopharm® Lösung (5.000 IE Heparin-Natrium/0,2 ml)
      • Tag 1: 2.500 IE i.v. im Bolus
      • Tag 2: 2.500 IE i.v. im Bolus, danach 7.500 IE über 6 h mittels Perfusor.

Merke! Zur Stellung der Diagnose bzw. zur Identifikation von Ersatzpräparaten ist der subkutane Provokations- bzw. Expositionstest am zuverlässigsten.

Differentialdiagnose

Bei einer Typ II-Reaktion entwickelt sich als wichtigste Differentialdiagnose (bei 1-4% der Pat.) eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT; charakteristischer Abfall der Thrombozytenzahlen um mehr als 50% oder unter 100.000/μl; "paradoxe" venöse und arterielle thromboembolische Komplikationen.

Hautsymptome (eher selten auftretend) sind blitzfigurenartige Hautnekrosen (Heparinnekrose) an Hautarealen mit ausgeprägtem subkutanem Fettgewebe, wie Mammae, Bauch, Gesäß und Oberschenkel; Latenzzeit bei Erstexposition 5-14 Tage, nach Zweitexposition 3-5 Tage).

Therapie

Ausweichpräparate: Hirudin/ Lepirudin (direkte Thrombininhibitoren) sind Polypeptide/Proteine und besitzen daher im Vergleich zu Heparin eine grundsätzlich andere chemische Struktur. Sie haben heparinähnliche günstige pharmakologische Eigenschaften (kurze Halbwertszeit und deshalb gute Steuerbarkeit) und sind daher auch für die subkutane Applikation geeignete Ausweichpräparate. Sie gelten als sichere therapeutische Alternative, eine Allergiediagnostik bezüglich der Verträglichkeit dieser Polypeptide wird als nicht notwendig erachtet.

Trotz Spättypallergie bei subkutaner Injektion tolerieren die Patienten in der Regel eine intravenöse Heparintherapie. Bei dringend notwendiger Antikoagulation kann auch ohne vorherige Tests Heparin intravenös gegeben werden.

Tabellen

Position

Substanzname

Konzentration

Ablesezeit

24h

72h

96h

1

Heparin (Heparin-Na-5000-ratiopharm®)

pur

2

Nadroparin (Fraxiparin® 0,3)

pur

3

Dalteparin (Fragmin® P)

pur

4

Enoxaparin (Clexane® 60 mg)

pur

5

Danaparoid (Orgaran®)

pur

6

Pentosanpolysulfat (Fibrezym®)

pur

7 Fondaparinux (Arixtra® 2,5 mg) pur

8

anamnestisch verdächtiges Heparinpräparat

pur


Position

Substanzname

Vehikel

Konzentration

Ablesezeit

20min

24h

72h

96h

1

Histamin

pur

2

Kontrolle

NaCl

pur

3

Heparin (Heparin-Na-5000-ratiopharm®)

NaCl

10%

4

Nadroparin (Fraxiparin® 0,3)

NaCl

10%

5

Dalteparin (Fragmin® P)

NaCl

10%

6

Enoxaparin (Clexane® 60 mg)

NaCl

10%

7

Danaparoid (Orgaran®)

NaCl

10%

8

Pentosanpolysulfat (Fibrezym®)

NaCl

10%

9 Fondaparinux (Arixtra® 2,5 mg) NaCl 10%

10

anamnestisch verdächtiges Heparinpräparat

NaCl

10%

Hinweis(e)

Bei der HIT gilt ein generelles Heparinverbot, alternativ werden zur Antikoagulation Danaparoid (Orgaran®) oder Hirudine [ Lepirudin] empfohlen.

Fallbericht(e)

  • Eine 56-jährige Patientin wurde erstmals vor 8 Jahren mit Certoparin behandelt. An den Injektionsstellen und weit über diese hinausgehend entwickelten sich nach einigen Wochen juckende ekzematöse Herde. Hierauf wurde die Therapie beendet. Keine weitere allergologische Diagnostik.
  • 2 Monate später erfolgte eine postoperative Thromboseprophylaxe. Nachdem die Anamnese bekannt wurde (allergische Reaktion auf Certoparin), erfolgte alternativ eine Therapie mit Heparin. Nach 3 Injektionen (7.500 I.E. Heparin s.c). entwickelten sich an den Injektionsstellen flächige, juckende Rötungen; hierauf Absetzen der Therapie. Trotz Therapieunterbrechung entwickelten sich aus den Erythemen großflächige, juckende, vesikulöse Ekzemherde, die nach 5 Wochen unter deutlicher läsionaler Hyperpigmentierung abheilten.
  • Allergologische Testungen: Im IC-Test:ausgeprägte ekzematöse allergologische Testung: Positive Reaktionen auf Certoparin, Enoxaparin, Heparin, Tinzaparin. Fondaparinux und Pentosanpolysulfat zeigten keine Reaktion.
  • In einer daraufhin durchgeführten Provokationstestung konnte Fondaparinux als Ausweichpräparat bestimmt werden.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Bircher AJ (1993) Allergische Reaktionen vom Spättyp auf Heparine. Allergologie 16:268-274
  2. Bircher AJ et al. (2006) Hypersensitivity reactions to anticoagulant drugs: diagnosis and management options. Allergy 61: 1432-1440
  3. Plancherel P (1953) Clinical and coagulation-physiological studies on a new heparin depot preparation. Z Klin Med 150: 213-259
  4. Thoms K et al. (2011) Heparinallergie vom Spättyp: Zu häufig nicht diagnostiziert? Abstract-CD 46. DDG-Tagung FV02/04
  5. Trautmann A et al. (1997) Spättyp-Allergie gegen Heparin: Klinik - Diagnostik - Ausweichpräparate. Z Hautkr 72:447-450
  6. Trautmann A et al. (1998) Intravenous challenge with heparins in patients with delayed-type skin reactions after subcutaneous administration of the drug. Contact Dermatitis 39:43-44
  7. Trautmann A (2006) Heparinallergie: Spättypallergie gegen subkutane Heparininjektion. Allergo J 15: 501-506
  8. Trautmann A (2006) Allergie gegen Heparin s.c.: Welche Alternativen zur Thromboseprophylaxe gibt es? hautnah dermatologie 22:311, 314, 316-317
  9. Trautmann A (2018) Heparinallergien - Empfehlungen zur Diagnostik und Patientenmanagement.. Allergo J Int 27: 122-125
  10. Weberschock T et al. (2010) Das Risiko für Kreuzreaktionen bei Typ IV Allergien gegenüber s.c. Heparinpräparationen: Eine systematische Übersichtsarbeit. Abstract-CD 46 DDG-Tagung: P02/01.

Disclaimer

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