Synonym(e)
Definition
Polyätiologische, akute, einmalige oder in unregelmäßigen Abständen rezidivierende, 1-7 Tage persistierende, hereditäre oder erworbene, schmerzhafte oder brennenende, Schwellungen (Ödeme) der Kutis/Subkutis und/oder der Mukosa/Submukosa. Lebensbedrohlich können Schwellungen des Pharynx und/oder des Larynx sein. Besonders auffällig sind Gesichtsschwellungen, da sie zu erheblichen Entstellungen führen (s.a. Angioödem der Kopf-Halsregion).
Auch interessant
Einteilung
Aufgrund unterschiedlicher Pathomechanismen werden die Angioödeme grundsätzlich unterteilt in:
- Histamin-vermittelte (IgE- oder nicht-IgE-meditierte) Angioödeme
- Kinin-vermittelte Angioödeme
- sonstige Angioödeme (nicht-allergische Angioödeme).
Bei den Kinin-vermittelten Angioödemen (HAE, AAE und RAE) wird ein erhöhter Bradykininplasmaspiegel als Auslöser betrachtet. Während bei HAE und AAE eine gestörte vermehrte Bildungsrate des Bradykinins vorliegt, handelt es sich bei den RAE-Patienten um einen verminderten Abbau des Bradykinins.
-
Histamin-vermitteltes Angioödem (T78.3):
- Teilbild oder Äquivalent einer Urtikaria.
- Kinin-vermitteltes Angioödem:
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Hereditäres Angioödem (D84.1):
- Typ I (common form): Ein normales und ein Null-Allel des Strukturgens sind vorhanden. Autosomal-dominanter Erbgang. Phänotyp 1: Häufigste Form (85% der Fälle). Die Synthese des C1-Esterase-Inhibitors ist vermindert, sein Umsatz erhöht.
- Typ II (variant form): Ein normales und ein mutiertes Allel des Strukturgens sind vorhanden. Autosomal-dominanter Erbgang. Phänotyp 2: Auftreten in ca. 15% der Fälle. Funktionell inaktiver C1-INH in normaler Konzentration im Plasma; funktionell aktiver C1-INH in erniedrigter Konzentration. Phänotyp 3: Funktionell inaktiver C1-INH in erhöhter Konzentration im Plasma; funktionell aktiver C1-INH in erniedrigter Konzentration.
- Typ III: Normale C1-INH Konzentration und Funktion; bislang nur bei Frauen beschrieben (synonym: Östrogenabhängiges hereditäres Angioödem).
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Erworbenes Angioödem (AAE):
- Typ I (acquired angioedema, AAE I): Teilweise mit lymphoproliferativen malignen Erkrankungen einhergehend, z.B. mit malignen Lymphomen.
- Typ II (AAE II): wie AAE I; nachweisbare Antikörper gegen C1-INH.
- Renin-Aldosteron-Systemblocker-induziertes Angioödem (RAE) (weitaus häufigste Angioödemform; z.B. durch ACE-Hemmer, auch durch AT II-Rezeptor-Antagonisten, Osteoporosemittel z.B. Strontiumranelat).
-
Hereditäres Angioödem (D84.1):
- Sonstige Mechanismen:
- Pseudoallergisches Angioödem (PAE) z.B. durch Aspirin
- Idiopathisches Angioödem (IAE) (Ausschlussdiagnose)
- Traumatisches Angioödem (s.u. Angioödem, vibratorisches)
- Angioödem, episodisches mit Eosinophilie.
Ätiopathogenese
Bei dem erworbenen Angioödem werden häufig Typ I-Reaktionen oder Intoleranzreaktionen auf Nahrungsmittel, Nahrungsmitteladditiva, verschiedene Medikamente (v.a. Antiphlogistika, nichtsteroidale) sowie additiv wirkende physikalische Stimuli aus auslösende Faktoren identifiziert. Häufig jedoch bleibt die Ätiologie ungeklärt. Weiterhin diskutiert werden auch Fokusgeschehen und psychovegetative Störungen.
Grundsätzlich führen folgende pathogenetische Mechanismen zum klinischen Bild des Angioödems:
- Wie bei der Urtikaria sind alle Antigene, die eine Typ-I- oder eine Typ-III-Immunreaktion mit Mastzelldegranulation hervorrufen können mögliche Verursacher. Klinisch können weitere anaphylaktische Symptome bestehen von der Urtikaria bis zum Schock.
- Hereditärer oder erworbener Defekt des C1-Esteraseinhibitors (s.u. Angioödem, erworbenes/C 1 -Esteraseinhibitor-Mangel und Angioödem, hereditäres).
- Eine weitere Möglichkeit, die zum Auftreten von Angioödemen führt, wurde wiederholt bei der Einnahme von ACE-Hemmern (z.B. Captopril) beschrieben. Vermutlich ist die Hemmung des Bradykininabbaus unter ACE-Blockade dafür verantwortlich, s. Angioödem, erworbenes, ACE-Hemmer-induziertes.
Manifestation
Allergisches Angioödem: Inzidenz der schwergradigen Anaphylaxie: 1–3:10.000 Einwohner pro Jahr, davon knapp 50% mit Angioödem
Urtikaria-assoziiertes Angioödem: Prävalenz der chronisch rezidivierenden Urtikaria: 1–5% , davon >50% mit Angioödem
Idiopathisches Angioödem: Keine genauen Zahlen
ACE-Hemmer-induziertes Angioödem: Prävalenz: 0,2–0,7% der behandelten Patienten. Menschen mit einer dunkleren Hautfarbe haben ein 3-fach erhöhtes Risiko.Manifestationsalter: I.d.R. ab dem 50. Lebensjahr
Hereditäres Angioödem mit C1-INH-Mangel:
- Inzidenz: Ca. 1,5:100.000 Einwohner pro Jahr
- Prävalenz: 1:50.000 Einwohner
- Alter bei Erstmanifestation häufig ≤10 Jahre
- Geschlecht: ♂ = ♀
Hereditäres Angioödem ohne C1-INH-Mangel: Sehr selten. Fast immer ♀ betroffen.
Lokalisation
Klinisches Bild
Diffuse, blasse, eher brennende oder schmerzhafte (meist nicht juckende), teigig-ödematöse Schwellung der Haut und Schleimhaut, rüsselförmige vorgewölbte Lippen, geschwollene Augen, evtl. plötzlich einsetzendes Glottisödem.
Differentialdiagnose
Allergisches Kontaktekzem: epidermale Komponente mit Schuppung evtl. Nässen
Ascher-Syndrom (selten): Nach dem 5. Lebensjahr wiederholtes Auftreten schmerzloser Oberlid- und Oberlippenschwellungen, Blepharochalasis durch prolabiertes Orbitalfett und Tränendrüsengewebe. Doppellippe; meist ist die Oberlippe, selten die Unterlippe betroffen. Die Kombination der Symptome festigt die Diagnose.
Gleich-Syndrom (selten): schweres Angioödemen, Urtikaria, hohe periphere (primäre) Eosinophilie (bis > 50.000/ul).
Erysipel: schmerzhaftigkeit, Fieber, Leukozytose , schmerzhafte Lymphadenopathie
Zoster: segmentale Anordnung; Bläschen, Schmerzhaftigkeit
Melkersson-Rosenthal-Syndrom (persistierender Schwellungszustand, derbe Konsistenz, evtl. Fazialisparese)
Hinweis(e)
Weitere Informationen bietet die Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Angioödeme e.V.
Praxisnahe Empfehlungen bei Angioödemen n. Bork (Leitlinie hereditäres Angioödem)
- jeder Patient mit einem HAE durch C1-INH-Mangel sollte mit einem mehrsprachigen Notfallausweis ausgestattet sein (erhältlich bei der Firma Behring GmbH, Philipp-Reis-Straße 2, 65795 Hattersheim).
- Alle Patienten sollten als Notfallmedikament C1-INH- Konzentrat oder Icatibant für zwei Dosierungen zuhause vorrätig halten, sowie bei Reisen mit sich führen. Patient und Krankheitszeiten sollten im nächstgelegenen Krankenhaus bekannt sein.
- Lehrer betroffener Schulkinder sollten darüber informiert sein, dass akute Attacken auftreten können.
- Vor zahnärztlichen Operationen, auch Zahnextraktionen sowie anderen Operationen im Mund-Rachen-Bereich sollten Patienten mit HAE durch C1-I NH-Mangel 1 Stunde vor dem Eingriff 500-1000 U C1-I NH-Konzentrat erhalten. Für die Kurzzeitprophylaxe ist seit Juni 2011 das nanofiltriertes C1-I NH-Konzentrat zugelassen.
LiteraturFür Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir
Kopernio

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Verweisende Artikel (61)
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